Am 09. November 2022 jährt sich die Pogromnacht von 1938 zum 84. Mal. In ganz Deutschland wurden an diesem Tag Synagogen niedergebrannt, jüdische Geschäfte geplündert und zahllose Menschen angegriffen, verletzt, verschleppt, erniedrigt und ermordet. Der 09. November 1938 bildete den ersten Höhepunkt des ungeheuerlichsten Zivilisationsbruchs der Menschheitsgeschichte – der Shoa. In den folgenden Jahren bis zum Ende der NS-Herrschaft kamen mehr als 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens durch die Nazis zu Tode.
Auch in Greiz endeten Jahrhunderte jüdischer Geschichte an diesem Tag mit Ausschreitungen, Plünderungen und Vertreibung. 1939 wurde die Anzahl jüdischer Einwohner in Greiz offiziell mit 0 angegeben. Wer sich über jüdisches Leben vor Ort informieren möchte, dem sei die Seite www.jewish-places.de empfohlen. Die staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung hat in den letzten Jahren etliche Einträge hinzugefügt und damit auch die Verlegung neuer Stolpersteine ermöglicht.
Wir haben den Anlass genutzt, um die in Greiz verlegten Stolpersteine zu säubern und mit weißen Rosen, einem wichtigen Symbol des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, an die Opfer zu erinnern.
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen:
darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“
(Primo Levi)
Auch heute, im Jahr 2022, bleibt die Erinnerung wichtig. Die Zahl antisemitischer Taten hat in den vergangenen Jahren neue Höchststände erreicht.
Doch wie ist dieser Anstieg zu erklären? Wie kommt es zu dieser Renaissance antisemitischen Denkens? Neben ganz klassischen Neonazis, die auch in Greiz „Fuck Israel“ Aufkleber verkleben, sind es vor allem sogenannte Querdenker, die antisemitische Stereotype bedienen. Die Erzählungen von verschwiegenen, mächtigen Eliten, die heimlich die Geschicke der Welt lenken würden und uns Corona beschert hätten, sind mittlerweile anschlussfähig an weite Teile der Gesellschaft. Im Umfeld von Homöopathie und Esoterik findet sich „wissenschaftsskeptisches“ Denken, dass diese Szene besonders anschlussfähig für Verschwörungsideologen aller Coleur macht. Die propagierte jüdische Weltverschwörung, deren Wurzeln bis zu den unzähligen Pogromen im mittelalterlichen Europa reichen, ist zentraler Bestandteil faschistischer Ideologie. So verwundert es auch kaum, dass bei den Corona-Spaziergängen in Greiz, in Zeulenroda, in Gera und anderswo eine krude Melange aus Rechtsradikalen, AfD-Anhängern, Eso-Hippies und vermeintlichen Normalbürgern den Aussagen von Antisemiten wie Frank Haußner, Christian Klar oder Christian Bärthel applaudiert. Politiker seien nur „Marionetten dunkler Mächte“, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Mit diesen klar antisemitisch konnotierten Bildern wird der vermeintliche Feind markiert und somit der Boden bereitet für Hetze, Hass und letztlich auch Gewalt. Der Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 war der Versuch eines Massenmordes an Juden an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag und wurde mit den gleichen antisemitischen Verschwörungsideen begründet.
Daraus kann nur folgen, dass es heute wichtiger ist als jemals zuvor seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, sich den Verbrechen der historischen Faschisten zu erinnern und die Erinnerung als Mahnung zu begreifen.
Wir alle müssen Verantwortung übernehmen und den heutigen Antisemiten, Nationalisten, Faschisten, Rassisten, und Verschwörungsideologen deutlich widersprechen und ihnen entgegentreten, wo immer sie sich zeigen.
Kein Vergeben! Kein Vergessen! Gegen jeden Antisemitismus!